07. Oktober 2009
von Juliane Hinz
Die Vorkehrungen für das 60. Jubiläum des Fischereistandortes Rostock im Frühjahr 2010 sind in vollem Gange. Kapitän Gerd Hein erinnert als Zeitzeuge an den längst verblassten Glanz des größten deutschen Hochseefischerei standortes in Marienehe.
Kapitän Hein auf der Brücke: Fahrten bis ans andere Ende der Welt.
ROSTOCK - In einer kleinen Pappschachtel liegen sie. All die Auszeichnungen, mit denen Gerd Hein während seiner Zeit als Kapitän geehrt worden ist. Nach einem kurzen Blick schließt er den Deckel gleich wieder. Die Zeit, in der er auf den Weltmeeren zu Hause war, ist lange vorbei. Ein Schiff sicher über die Wellen führen, das könnte er heute noch. Da ist sich der 84-Jährige sicher.
Hein hat die Blütezeit der Hochseefischerei in Rostock miterlebt, sie mit geprägt. Auf der "Gera" reisten er und seine Crew nach Madagaskar, Falkland, Grönland, bis ins Eismeer. "Schön ist es da - wenn man wieder rauskommt", erzählt er mit leuchtenden Augen. In seiner Erinnerung ist der Rostocker Fischereihafen oder das Fischkombinat, wie es vor der Wende hieß, noch voller Leben. "Bis zu 130 Schiffe lagen hier", beschreibt er. "Mitunter dauerte es Stunden, bis die Ladung gelöscht wurde." Heute bestimmt an der Kaikante vor allem Holz die Szenerie und ein Kühlschiff lud gerade seine Fracht.
Großes Fest ist schon jetzt in PlanungSein 60-jähriges Jubiläum feiert der Hafen im April kommenden Jahres. Ein großes Fest ist in Planung. Hein freut sich schon darauf, die alten Bekannten wiederzusehen. Nach all der Zeit stehen sie immer noch in Kontakt. Dann trifft sich die alte Besatzung, 33 Mann, in Bremerhaven. Dort liegt der Seitentrawler Baujahr 59 heute - ein Museumsschiff. Es ist das letzte seiner Art. Als die Flotten in Ost und West Anfang der 90er-Jahre radikal verkleinert werden mussten, wurden die meisten verkauft oder verschrottet. Auch die "Gera" wurde verkauft. "Für'n Appel und 'n Ei", wie Hein sagt. Eine symbolische Mark.
Kaum vorstellbar, dass einst mehr als 100 Schiffe und Fahrzeuge im Fischereihafen verkehrten. 10 000 Menschen arbeiten hier - 5000 an Land, 5000 auf See. Während seines 40-jährigen Bestehens lieferte das Fischkombinat etwa 6 Millionen Tonnen Fisch für die Bevölkerung.
Auch Kapitän Hein und seine Crew trugen zum Erfolg des Fischkombinates bei. Mal wurde der Fisch direkt an Bord verarbeitet, mal an die "Junge Garde" oder die "Junge Welt" übergeben. Bis zu vier Monate konnten die Fahrten bis ans andere Ende der Welt dauern. "In England haben wir einmal 120 Tonnen an einem Tag verarbeitet", erzählt Hein. "Da haben die Tommys gestaunt. So was hatten die noch nicht gesehen."
1982 kam dann das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Die Hochseefischerein wurde problematisch. Küstenstaaten, denen in Zonen von 200 Seemeilen vor der Küste exklusive Nutzungsrechte eingeräumt wurde, beklagten, dass durch die Hochseefischerei die Erträge in ihren Gewässern reduziert würden. Die von Deutschland betriebene große Hochseefischerei, ging durch die Ausdehnung der Wirtschaftsgrenzen über die Schelfkante hinaus nach etwa 100 Jahren dem Ende entgegen.
Nach der Wende beginnen die SchwierigkeitenDann kam die Wende. "Da fiel alles auseinander", sagt Hein. Seine Leute kehrten in die Heimat zurück. "Viele hatten ja andere Berufe gelernt." Von einigen weiß er, dass sie heute in Holland auf Kuttern arbeiten. Der erste Steuermann ist auf ein Forschungsschiff gewechselt. "Für mich war es nicht gefährlich, ich bin ja in Rente gegangen." Andere hätten ziemliche Schwierigkeiten gehabt, irgendwo unterzukommen. In die Verarbeitungsbetriebe an Land seien einige gegangen.
Auch im Hafen musste umgedacht werden. Die zu geringen Fischereiquoten und die hohen Kosten des Flotteneinsatzes hatten zur Folge, dass die Kapazitäten schnell abgebaut wurden. Heute gibt es nur noch wenige Schiffe mit der Kennzeichnung ROS, auf denen etwa 200 Seeleute ausfahren. Unternehmen der Fischverarbeitung haben sich angesiedelt. Aus dem Basishafen der ostdeutschen Hochseefischerei ist ein universeller Umschlaghafen und Gewerbegebiet geworden.
Kapitän Gard Hein im Fischreihafen am Kai des alten Hafenbeckens: Blütezeit der Hochseefischerei miterlebt.
Während Gerd Hein durch seinen dicken Ordner mit Erinnerungen blättert, träumt er schon davon, die "Gera" im Frühjahr von Bremerhaven in den Rostocker Fischereihafen zu holen. "Meine Crew hat gleich gesagt: Wir sind dabei, Käpt'n." Ob es klappt, steht noch in den Sternen. Denn der Seitentrawler hat keine Klasse des Germanischen Lloyds. Die zu beantragen ist teuer. "Aber seetauglich ist die ,Gera'. Alles immer noch tiptop." Und auch er selbst sei noch bei bester Konstitution: "Ich bin schließlich 50 Jahre zur See gefahren, hab immer viel Fisch gegessen. Das hält gesund."